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Eine sehr lange Reise

Aktualisiert: 9. Apr.

Rezension "Der Medicus"

Das kaum Vorstellbare war geschähen. Ich war für mehrere Tage unterwegs und hatte kein Buch dabei...Wie das passieren konnte ist für mich ein Rätsel, denn ohne ein Roman in der Tasche verlasse ich nie das Haus. Aber ich hatte Glück im Unglück. Das Ziel meiner Reise war mein Elternhaus und dort gibt es zum Glück eine umfangreiche Bibliothek. Meine Wahl fiel auf den Roman "Der Medicus" von Noah Gordon.


Der im Jahre 1987 in Deutschland erschienene Roman wurde sehr schnell zum Bestseller und gilt mittlerweile als klassische Literatur. Im Jahr 1999 wurde das Buch auf der Madrider Buchmesse zu einem der zehn beliebtesten Bücher aller Zeiten gekürt.


Die Geschichte spielt zu Beginn des Buches im 11. Jahrhundert in London. Der damals neunjährige Robert Cole (Rob) wird, nach dem seine Eltern sterben, bei einem Baderchirurgen als Lehrling aufgenommen. Der Junge ist ein eifriger Schüler mit einer Begabung dafür, das körperliche Wohl der Patienten zu erspüren. In der Heilkunst spürt er seine Berufung und begibt sich als junger Erwachsener, nach dem Tod des Baders auf die Suche nach einem Lehrmeister, der ihm hilft eine Ausbildung zum Arzt abzuschließen. Er lernt einen jüdischen Medicus namens Benjamin Merlin kennen, doch dieser weigerte sich ihn zu unterrichten, weil die Kirche dies nicht zulassen würde. Jedoch erzählt Merlin Rob von einer Schule für Medizin im persischen Esfahan. Dort unterrichtet ein großartiger Heiler namens Ibn Sina. Doch für Christen ist diese Schule nicht zugänglich und so kommt es, dass sich Rob auf seiner Reise dorthin als Jude ausgibt. Unterwegs lernt er den Schotten James Cullen und dessen Tochter Mary, die später seine Frau wird, kennen. Die Aufnahme als Student an der medizinischen Schule gestaltet sich nicht so einfach, doch Rob überwindet die Schwierigkeiten und wird Arzt. Er stellt sogar eigene Forschungen an und erweitert seine Kenntnisse, in dem er sich unter anderem den "Gesetzen Gottes" widersetzt und unerlaubt Leichen seziert.


Bei diesem Roman handelt es sich um eine Lebensgeschichte zu einer Zeit, in der das Leben und Denken in Europa im Vergleich zum mittelalterlichen Persien ausgesprochen rückständig war. Leider wird das im Buch nicht wirklich deutlich rübergebracht. Der Protagonist wundert sich zwar über die Errungenschaften der persischen Kultur, aber die Fortschrittlichkeit wird etwas unter den Teppich gekehrt.


Die Zusammenfassung der Handlung hört sich durchaus vielversprechend an, doch Gordon vermied es geschickt in den passenden Momenten Spannung aufzubauen und einen Spannungsbogen über mehrere Seiten zu halten. Beim Lesen hatte ich oft den Eindruck, dass der Autor versucht allen kritischen Szenen, die Nervenkitzel hervorrufen könnten, auszuweichen. Rob geriet selten in Schwierigkeiten, und wenn doch, dann kam die Rettung nicht in letzter Sekunde, sondern zum gefühlt abgesprochenen Zeitpunkt. Die Handlung plätschert so dahin von einen unwichtigen Ereignis zum nächsten. Personen kommen dazu und sterben, das Leben geht weiter, fesselnde Überraschungen und Wendungen bleiben aus.


In einigen Kritiken wurde berichtet, dass der geschichtliche Hintergrund dieses Buches mit der Realität wenig gemein hat. Mich persönlich würde das nicht stören, da meine Kenntnisse vom Leben im frühen Mittelalter überschaubar sind. Was mich allerdings störte war dass die Entwicklung des Jungen Rob aus meiner Sicht sehr unrealistisch erscheint. Er stammt aus sehr einfachen Verhältnissen, kann aber lesen und schreiben. Im Laufe der Erzählung lernt er mühelos mehrere Sprachen und auf seiner langen Reise durch ganz Europa nach Persien wird er weder überfallen noch geht ihm das Geld aus. In der heutigen Zeit wird überall vor Taschendieben gewarnt, aber im düsteren Mittelalter war das kein Problem.


Nicht nur der Handlung fehlt es an Glaubwürdigkeit, auch dem Hauptcharakter Rob Cole mangelt es an Authentizität. Ohne jegliche Facetten ist Rob einfach immer gut. Er trifft die richtigen Entscheidungen und hat makellose moralische Vorstellungen. Da ist absolut keine Reibung in dieser Person. Er hat keine Kanten und auch keinen Tiefgang. Der Schreibstil ist einfach und doch sehr detailliert. Bis auf die Spannung wird nichts der Phantasie überlassen.


Insgesamt gibt es von mir keine Leseempfehlung für diesen Roman. Die Geschichte und die Charaktere sind farblos und eindimensional. Beschreibungen der Szenen sind oberflächlich und austauschbar. Zur keiner Zeit fühlte ich mich versetzt ins Mittelalter. Warum dieses Buch zur klassischen Literatur gezählt wird und zu den beliebtesten Werken seiner Zeit gehört, ist für mich nicht nachvollziehbar. Es ist ein Buch mit viel Text und wenig Inhalt.

 


Der Medicus Roman
"Der Medicus" von Noah Gordon

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