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Das Streben nach Gesundheit in einer Distopie

Aktualisiert: 9. Apr.




Der Roman "Corpus delicti - Ein Prozess" von Juli Zeh.
"Corpus delicti" von Juli Zeh

Rezension Corpus Delictii: Ein Prozess

Was passiert, wenn man einem vermeintlich unfehlbaren System einen Fehler unterstellt? "Corpus Delicti: Ein Prozess" von Juli Zeh ist ein fesselnder Roman, der den Leser in eine dystopische Zukunft entführt. Mit ihrem packenden Schreibstil und ihrer tiefgründigen Erzählweise schafft es die Autorin, den Leser von der ersten Seite an zu fesseln. 

"Was sollte vernünftigerweise dagegensprechen, Gesundheit als Synonym für Normalität zu betrachten? Das Störungsfreie, Fehlerlose, Funktionierende: Nichts anderes taugt zum Ideal."

 

Die Geschichte spielt in einer Gesellschaft, in der Gesundheit und Fitness oberste Priorität haben. Die Protagonistin Mia Holl, eine intelligente und rebellische Frau, kämpft gegen das System, das durch die "Methode" kontrolliert wird - ein strenges Regime, welches die Menschen dazu zwingt, gesund zu leben. Jeder Aspekt des Lebens wird überwacht und kontrolliert, um Krankheiten vorzubeugen. Der Roman erschien im Jahre 2009 und ist vor dem Hintergrund der Pandemie und der damit ergriffenen Maßnahmen trotzdem sehr aktuell. Hätte ich dieses Buch vor zehn Jahren gelesen, wäre für mich diese Entwicklung nicht wirklich nachvollziehbar gewesen. Dem herrschenden Kapitalismus ist das Schicksal und die Gesundheit eines jeden nur dann wichtig, wenn sich damit Geld verdienen lässt. Das Ziel besteht nicht darin Krankheiten auszurotten, sondern möglichst viele Medikamente gegen diese zu verkaufen. Doch die aktuellen Geschehnisse in unserem Land und auf der ganzen Welt zeigten ein anderes Bild. Es herrschte eine Pandemie und damit wurden Anordnungen eingeführt, welche doch erheblich einen Eingriff in unsere Freiheit darstellten. Und das alles zu unserem Schutz. In diesem Zusammenhang fand ich es sehr interessant, dass die Autorin von einer illegalen Gegenbewegung zum System erzählt, die sich "RAK" (Recht auf Krankheit) nennt. Gibt es im Rahmen der persönlichen Freiheit ein Recht auf Krankheit oder muss sich jeder einzelne der Gesundheit der Allgemeinheit unterordnen? Im Buch entspring diese Frage Zehs Fantasie und war in den letzten Jahren für uns Realität.

 

Juli Zeh gelingt es meisterhaft, die dichte und beklemmende Atmosphäre dieser Welt darzustellen. Sie beschreibt detailliert die Überwachungsmethoden und die Auswirkungen auf die Menschen. Diese komplexe Szenerie lässt sich aufgrund des flüssigen Schreibstils wunderbar bildlich verpacken und damit der eigenen Vorstellungskraft überlassen. In kurzen Kapiteln mit kleinen Szenen dialogischer Natur in einfacher und sachlicher Sprache vermittelt sie fast schon spielerisch dem Leser die Vielschichtigkeit der Geschichte. Dabei stellt sie geschickt Fragen nach Freiheit, Individualität und dem Recht auf Selbstbestimmung.

 

Besonders beeindruckend fand ich die Charakterentwicklung der Hauptfigur. Mia Holl ist eine starke und mutige Frau, die sich gegen das System auflehnt. Sie muss den Selbstmord ihres Bruders im Gefängnis verarbeiten und stellt daraufhin ihre Systemtreue und den ganzen Staat in Frage. Der Leser erlebt die Gratwanderung der Protagonistin zwischen Überzeugung und Kritik. Ihre innere Zerrissenheit und ihr Kampfgeist machen sie zu einer äußerst sympathischen Figur. Ich persönlich finde solch eine Widersprüchlichkeit der Charaktere in einem Roman sehr spannend. Man fiebert mit ihr mit und hofft auf ihren Erfolg. Das Ganze untermalt die Autorin mit einer Portion Ironie und Galgenhumor.

 

Der Roman regt zum Nachdenken an und wirft wichtige ethische Fragen auf. Wie viel Kontrolle ist zu viel? Wo liegt die Grenze zwischen individueller Verantwortung und staatlicher Bevormundung? Diese Fragen werden im Laufe der Geschichte aufgegriffen und lassen den Leser über die eigene Position zu diesen Themen nachdenken. Im Dialog zwischen Holl und Kramer werden Vergleiche zur Vergangenheit gezogen und Unterschiede diskutiert. Geschickt lässt die Autorin dabei immer wieder bekannte Klischees, wie z. B. die geschwätzige Nachbarin, einfließe, um dieser düsteren und philosophischen Atmosphäre etwas Skurriles zu verleihen. Ein weiterer Pluspunkt des Romans ist die Spannung. Die Geschichte entwickelt sich langsam, aber stetig, und steigert sich zum einen packenden Höhepunkt.




 

"Corpus Delicti: Ein Prozess" ist ein beeindruckender Roman über eine Distopie der Gesundheit, der nicht nur unterhält sondern auch Fragen aufwirft und sehr lange in Erinnerung bleibt. Es ist keine Lektüre für zwischendurch oder Nebenher. Das Buch nimmt einen während des Lesens vollständig ein. Von mir gibt es definitiv eine Leseempfehlung. 

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